
Schwul sein, glücklich werden - Mein Coming out
Schwulsein hat mich früher erdrückt. Dabei lag das nur bedingt an meiner ländlichen Herkunft, wo man – wie in den meisten Dörfern – nicht auf einen Schwulen gewartet hatte. Es lag schon gar nicht an meinen Geschwistern, sie fanden alles «Andersartige» und somit auch meine sexuelle Präferenz total cool. Der Grund für meinen jahrelangen Kummer war das homophobste Mitglied meiner Familie: ich selbst.
Schwulsein kannte ich nur vom Hörensagen. Ich hörte Dinge wie: Schwule sind pädophil, keine richtigen Männer werden ausgelacht oder – wie es jemand in meinem Umfeld ausdrückte – man sollte sie an die Wand stellen...
Die Bereitschaft, mich so anzunehmen, wie ich bin, war daher sehr gering. Ehrlich gesagt: Ich hasste alles am Schwulsein. Bei mir und bei anderen.
Statt mich so zu akzeptieren, wie ich bin, habe ich mir unzählige Masken/Persönlichkeiten zugelegt. Mal gab ich mich asexuell-unnahbar, mal äusserst verständnisvoll, mal super manipulativ, aber meist als Opfer – Leiden wollen macht kreativ.
Der Einzige, der mich aus diesem psychischen und körperlichen Elend befreien konnte, war der, der mich da auch eingesperrt hatte.
Erst nach vielen Jahren mit zahlreichen Irrwegen konnte ich zugeben, dass ich schwul bin. Aber es ist, wie wenn man nach einer langen Diät plötzlich 20 Kilo abgenommen hat oder aufhört zu trinken: Das Leben wird nicht automatisch perfekt, das Leben bleibt das Leben. Voller Überraschungen und Wunder.
Auch wenn ich mich bei meinen Schwestern bereits als Teenager geoutet habe, das Coming-out bleibt für den Rest des Lebens. Neues Arbeitsumfeld, neue Freunde, neue Bekannte: Alle wollen ES wissen.
Dabei verstehe ich es bis heute nicht. Eine sexuelle Präferenz ist nur eine sexuelle Präferenz. Wir sind jedoch nicht unsere sexuelle Präferenz. Genauso wenig, wie wir nicht unsere Gefühle, unsere Gedanken oder unsere Kleider und Autos sind. Wir sind grösser als das. Natürlich auch du.
Schwulsein bedrückt mich längst nicht mehr. Mich stört vielmehr, dass es nach wie vor normal ist, dass ich beleidigt, bedroht und belächelt werde.
auch die aktuellen Entwicklungen weltweit sind besorgniserregend.
Wir wissen heute, dass es Homosexualität auch in der Tierwelt gibt. Doch keinem Tier würde es einfallen, ein anderes deswegen auszugrenzen.
Natürlich ist die LGBTQ+ Community nur eine von leider zu vielen Minderheiten. Alte, Dicke, Farbige, Ausländer. Wir leben in einer Welt, in der es normal ist, sich über andere zu stellen. Ich sage: DAS ist nicht normal.
Als Coach ist es meine moralische und ethische Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir in Anstand neben- und noch besser miteinander leben können.
Für viele meiner heterosexuellen, muslimischen, christlichen oder einfach uninformierten Kunden war ich die erste queere Begegnung in ihrem Leben. Das ist eine Verantwortung, die ich sehr ernst genommen habe. Die Erfahrungen waren hierbei zu 100% positiv. Die negativen Erfahrungen hatten nie etwas mit meiner sexuellen Neigung zu tun.
Nachdem ich die LGBTQ+ Community so lange verleugnet hatte, unterstütze ich meine Mitmenschen heute als freiwilliger Helfer der LGBTQ+ Helpline und als "Gay- oder schwuler Therapeut".
Meine Tipps für ein Coming Out
- Du musst dich nicht outen – es geht niemanden etwas an, mit wem du ins Bett gehst und Fremd-Outing ist strafbar
- Coming-Out nebenbei – «ich und mein Partner waren am Wochenende, mein Ex-Freund war, etc…»
- Der richtige Zeitpunkt, der richtige Ort – was willst du wann mit deinem Coming Out bezwecken? Möchtest du deinen Eltern einen Brief senden? Oder soll es ein neutraler Ort sein, wo du jederzeit abhauen kannst? Rede mit Freunden oder Profis darüber.
- Lass deinem Umfeld Zeit. In ihren Köpfen müssen erst neue Bilder entstehen können. Das ist ein Prozess und dauert bei jedem unterschiedlich lang.
- Wenn dich jemand nach dem Coming Out nicht mehr respektieren kann, ist dieser Mensch nicht dein Freund. Er, sie hat dich nicht verdient. Fertig.
- Nimm dir jemanden zu Hilfe. Hast du dich bei den Geschwistern bereits geoutet und sie wollen dich unterstützen? Sie können dir Rückdeckung geben.
- Stell dir dein Leben vor, wie es sein wird. Offen, keine Geheimnisse, freier, mit Freunden über die Liebe reden, den Partner auf Feste mitnehmen. Das wird dich motivieren, denn du hast es verdient, glücklich zu sein.
- Ruf die LGBTQ+ Helpline an und beschreibe deine Situation. Man wird dich sicherlich gut beraten.
Gerade reifere Männer und Frauen erzählen mir, dass sie sich nicht mehr bei ihren greisen Eltern oder Großeltern outen wollen- "die werden das nicht verstehen, dafür sind sie zu alt". Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. So werden sie die Chance bekommen, dich so zu akzeptieren, wie du bist. Meine super-katholische Mutter zum Beispiel verteidigt heute "die Homosexualität", wo sie kann. Es war ein Prozess, das gebe ich zu. Und natürlich gibt es auch genug Negativ-Beispiele. Aber wir wissen nie, was wir nicht wissen.
Was ist dein Tipp?
Weitere Posts von mir

Sag Nein!
Alleine heute wurde ich bereits zwei Mal auf Social Media beleidigt. Der Grund? Mein NEIN. Müssen wir das so hinnehmen? Nein!
Read MoreWeil auch Zitate wirken können
"Menschen in Therapie sind oft in Therapie, um mit den Menschen in ihrem Leben umzugehen, die nicht zur Therapie gehen"
Read More
Auf Stellen- oder beruflicher Sinnsuche?
Nach 10 Jahren Erfahrung als Job Coach, habe ich verstanden, was funktioniert und was nicht. Hier sind meine 10 Tipps, damit auch du die passende Stelle findest.
Read More