Natürlich ist mir klar, dass ich dem «faszinierenden» Thema Scham mit diesem kurzen Blog nicht gerecht werden kann.
Die Thematik ist meiner Meinung nach einfach zu komplex. Doch bewegt mich meine eigene Scham wie auch «die Scham» meiner Klienten und Klientinnen einfach zu sehr, um nicht darüber zu schreiben.
Scham und/oder Schuld haben unzählige Leben gekostet. Aufgrund von Scham werden unzählige Morde und Selbstmorde verübt. Daneben gibt es Menschen, die zwar leben, jedoch aufgrund ihrer Scham keine Lebensfreude mehr verspüren. Aber wie jede andere Emotion auch gehört Scham zu unserer Überlebensstrategie und hat zur Erfolgsgeschichte des Menschen beigetragen.
Scham ist überall! Bereits bei der Vorbereitung für diesen Blog hat sie mich eiskalt erwischt. Zum einen, weil mir Grammatik und Rechtschreibung wirklich schwerfallen, zum andern bin ich weder ausgewiesener Experte noch anerkannter Forscher. Doch meine Scham, diesen Blog nicht zu schreiben, ist grösser als die Angst, Fehler zu machen.
Ich bin - also schäme ich mich
Alleine meine Beschreibung veranlasst Mitmenschen dazu, mich zu belächeln: Mann, Life Coach, Schweizer, Homosexueller.
Und weil ich weiss, "dass es sich verdammt gut anfühlt", jemanden zu beschämen, sollte man ständig auf der Hut davor sein.
Und dann, wenn wir uns – was eben auch das Beste wäre – endlich mal verletzlich zeigen und über unsere Scham sprechen, finden wir sicherlich jemanden, der uns wegen unserer Scham auch noch zum Schämen auffordern will und versucht, unsere Gefühle klein zu machen: «Immerhin bist du gesund und hast ein Dach über dem Kopf…» usw.
Scham durchbrechen
Sich als sich Schämender zu outen, macht einem nicht «schamloser», aber es kann helfen, dieses lähmende Gefühl zu überwinden. Denn nichts nährt die Scham mehr, als sie zu verheimlichen. Und das kann zu einem Teufelskreis führen.
Aber auch Plattformen wie LinkedIn, Instagram und Facebook können das Gefühl der Scham zusätzlich fördern. «Endlich glücklich?», «Endlich schlank?», «Endlich erfolgreich?», «Endlich verpartnert?», «Endlich reich?» Und wenn du dann immer noch arbeitslos, Single oder arm bist: Shame on you!
Doch mit Scham lässt sich nun mal sehr, sehr viel Geld verdienen.
Was treibt uns im Leben an? Lebenslust? Freude? Neugier? Neid? Oder vielleicht doch die Scham? Was darf uns antreiben? Was sollte uns antreiben? Entscheiden wir selbst! Doch wenn wir konstruktiv darüber reden, können diese Emotionen an Last und Gewicht verlieren,
Als Kinder sind wir manchmal nackt durch die Welt gerannt, haben uns selbst überall berührt, einfach weil es richtig war und sich gut anfühlte. Dann hat man uns beigebracht, dass das, was wir denken und fühlen, «nicht richtig» ist.
Heute schämen «wir» uns bereits, wenn wir im Zoo einen Affen sehen, der sich im Käfig selbst befriedigt.
In der Pubertät schämen wir uns für unsere zu grossen oder zu kleinen Körperteile – egal, was wir haben oder «sind», wir schämen uns – weil es uns beigebracht wurde.
Interessanterweise gab es an meiner Schule einen Jungen, der von seinen Eltern wirklich unterstützt und verstanden wurde – auf mich wirkte er mit seinem natürlichen Selbstvertrauen wie ein Mensch aus einer anderen Welt. Ich war so neidisch auf ihn und habe mich so sehr dafür geschämt, dass man mir nicht die gleiche Behandlung angedeihen liess – aber eben: «Es gab dafür sicherlich einen Grund – ich war es eben nicht wert», dachte ich.
Verschwendete Lebenszeit aufgrund von Scham
«Dank» meiner dritten Brustwarze habe ich in meiner Jugend mein T-Shirt praktisch nie ausgezogen. «Oben ohne» in der Sonne liegen? Nur über meine Leiche. So sehr habe ich mich geschämt. Was ist das für eine vergeudete Lebenszeit! Anschliessend habe ich mich für diese Scham geschämt.
Und dann war ich obendrauf noch schwul. Hätte ich als Jugendlicher die Möglichkeiten gehabt, ich hätte mich, ohne zu zögern, für eine Konversionstherapie angemeldet. Dass Scham in Selbstmord münden kann, kann ich nur zu gut verstehen.
Scham als Waffe
Doch obwohl ich versucht habe, meine Homosexualität zu verstecken, wurde sie entdeckt – und einmal sogar zu meinem «Vorteil». In früheren Jahren wurde ich wegen einem Vergewaltigungsversuch an einer Frau angeklagt ‒ und ganz ehrlich: Ich kann bis heute nicht sagen, wofür ich mich mehr schämte – für meinen «Freispruch» aufgrund meiner sexuellen Neigung oder für den Vorwurf selbst.
Doch ich habe dann noch eine andere Seite der Scham kennengelernt: Nachdem ich zu Unrecht der Vergewaltigung an einer Frau beschuldigt worden war, wurde ich später selbst Opfer einer Vergewaltigung.
Als ich als erwachsener Mann vergewaltigt wurde, gab es niemanden, der mich mehr hätte beschämen können als ich mich selbst. Denn unsere westliche (christliche) Schamkultur belehrt uns ungehemmt, wie beschämend es ist, «sich selbst in so eine Situation zu bringen».
War es vielleicht doch meine Schuld, und sollte ich mich deshalb noch mehr schämen? Für mich war jedoch klar: Eine Anzeige hätte ich niemals gemacht. Dafür habe ich mich zu sehr geschämt.
Heute würde ich anders handeln.
Es wichtig, in so einer Situation Hilfe in Anspruch zu nehmen und Strafanzeige zu erstatten, ansonsten unterstützen wir die Täter in ihrem Handeln.
Das dies sehr sehr schwierig ist, erzählen dir diese Frauen.
Scham macht ausserdem unglaublich erpressbar. Auch das ist im Film gut zu erkennen. Auch hier gilt: sofort Strafanzeige erstatten! Im letzten Jahr hat jemand versucht, mich aufgrund meiner sexuellen Neigung zu nötigen. Auch das hat ein Strafverfahren nach sich gezogen.
Scham oder Schuld?
In der Fachliteratur wird Scham von Schuldmittels der Bewertungsgrundlage des Verhaltens unterschieden: Während Schuld nach Michael Lewis (2000) durch eine negative Bewertung eines spezifischen Verhaltens erzeugt wird („Ich habe etwas Falsches getan“), wird Scham durch eine negative Bewertung des globalen Selbst erzeugt („Ich bin ein schlechter Mensch“). Auch die Attributionstheorien beschäftigen sich mit der Wirkung, je nachdem, ob einzelne gelungene oder misslungene Handlungen als Indikativ für die ganze Person interpretiert werden.
Als Kinder lernen wir den Unterschied meistens nicht kennen. Bei der Wuttirade der Mutter meinen wir meist, dass wir «schlechte» Menschen sind, wenn wir die Schokolade schon vor dem Mittagessen gegessen haben. Dabei ginge es um das Verhalten und nicht um das Kind selbst. Nicht sehr förderlich für ein gesundes Selbstbewusstsein.
Oder wie in meinem obigen Vergewaltigungsbeispiel: «Man ist doch selbst schuld, wenn man sich in eine Situation begibt, in der man vergewaltigt werden könnte und man sich dann noch nicht einmal richtig wehrt.» Auch das ist zu hören: «Vielleicht hat es dir doch ein bisschen gefallen»? Hier kommen Schuld und Scham zusammen und können Opfer von Gewalt für lange Zeit, manchmal sogar ein Leben lang zum Schweigen bringen.
Scham kann schädlich, aber auch nützlich sein. Hinschauen lohnt sich.
Ja, Scham ist auch eine moralische und sogenannte selbst-bewusste Emotion. Sie dient innerhalb von sozialen Gemeinschaften der Aufrechterhaltung der Regeln und der moralischen Regulation, sie dient der Wahrnehmung eigener Grenzen und Bedürfnisse und somit der Selbstregulation. Das dies von evolutionärem Vorteil ist, wird klar, wenn wir feststellen, dass Scham auch bei Tieren auftritt und dass Scham möglicherweise schon im sehr frühen Säuglingsalter in frühen Bindungssituationen auftreten kann. Der frappant hohe physiologische Anteil im emotionalen Erleben von Scham weist auch auf die Wichtigkeit für das Überleben einer Spezies oder einer Gemeinschaft hin. Wenn wir lernen, dass Scham uns eben schützen und nicht bestrafen will, kann das sehr heilsam sein. (Quelle: Marta-Blog)
Es wie bei allem anderen auch: Die Menge macht das Gift. Als ich diesen Blog einer Freundin gezeigt haben, wurde ich beschämt. "So findest du garantiert keine Kunden". Autsch!
Wie kannst du deine Scham überwinden?
Versuche nicht, deine Scham zu überwinden, versuche lieber mit Scham umzugehen. So gehts:
Nimm deine Emotionen bewusst wahr, und versuche, wieder die Oberhand zu gewinnen. Hier ein paar Möglichkeiten:
- Lerne zu erkennen, wann du Scham empfindest. Die körperlichen Gefühle sind bei jedem Menschen anders, aber Gefühle von schwerer Scham können eine Panikattacke oder Herzrasen auslösen. Hier ist es sinnvoll, sofort nach Hilfe zu rufen.
- Überlege dir (oder erarbeite es mit einem Profi), woher deine Scham kommt und wie sie entstanden ist, damit du beginnen kannst, ungesunde Muster zu ändern. Schwere Scham hat ihre Wurzeln oft in der Kindheit.
- Identifiziere Auslöser für schamvolle Gefühle. Es kann etwas so Einfaches sein, wie sich selbst im Spiegel zu sehen, ein unfreundlicher Kommentar oder etwas, das dich an Scham in der Kindheit erinnert.
- Lerne mehr über Scham. Lies Bücher von Brené Brown oder anderen Experten zum Thema Scham-Resilienz.
- Sorge für dich. Sei sanft mit dir, und übe dich in Selbstmitgefühl. Übe positive Selbstgespräche. Behandle dich selbst so, wie du jemanden behandeln würdest, den du liebst. Gerade in akuten Situationen.
- Geh auf andere Menschen zu, und pflege akzeptierende, nicht wertende Freunde. Löse dich von giftigen, negativen, Scham-verursachenden Beziehungen.
- Schäme dich nicht für deine Scham. Teile deine Gefühle mit Menschen, denen du vertrauen kannst, und verberge deine Gefühle nicht. Wie Brené Brown sagte: "Scham kann nicht überleben, wenn sie ausgesprochen wird." Nicht darüber zu sprechen, lässt Schamgefühle erst richtig gedeihen.
- Hinterfrage gängige kulturelle/gesellschaftliche Botschaften. Zum Beispiel: Was sagt die Gesellschaft darüber, was es bedeutet, ein guter Elternteil, Partner, Freund oder Mitarbeiter zu sein. Untersuche deine Gefühle in Bezug auf Sexualität, Körperbild und Aussehen, Alter und soziale oder finanzielle Stellung. Sind diese Erwartungen für dich realistisch? Definiere, wer du bist und wer du sein willst.
- Entwickle und kläre deinen eigenen Wertekodex, und halte dich dann daran. Scham tritt oft auf, wenn wir uns entgegen unseren persönlichen Überzeugungen verhalten. Wenn du deine eigenen Grenzen kennst, kannst du lernen, authentisch zu leben.
- Lehne Freundlichkeitsbekundungen von anderen nicht ab. Akzeptiere sie, und sei dankbar dafür, auch wenn es sich seltsam oder unnatürlich anfühlt.
- Praktiziere Vergebung gegenüber dir selbst und anderen.
- Erlaube dir, dich verletzlich zu fühlen. Öffne dein Herz, und sei okay mit deinen Gefühlen von Schmerz und Traurigkeit. Akzeptanz wird dir helfen, Stärke und Scham-Resistenz aufzubauen.
- Zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn du weiterhin mit tiefer, schmerzhafter Scham zu kämpfen hast.
Lassen wir nicht zu, dass uns die Scham lähmt, während andere Menschen sich «schamlos» verhalten.