Lesezeit
32
min

Bin ich ein Messie? Was oder wer sind eigentlich Messies? Die Wahrheit über ein Thema, das von den Medien oft und gerne "missverstanden" wird

Veröffentlicht am
21.11.2023
Messie Horter Hoarder

Der wahre Kampf hinter den Kulissen des Messie-Syndroms

Das Messie-Syndrom – ein Begriff, der oft mit Klischees von Unordnung und Verwahrlosung verbunden wird. Doch hinter diesen Oberflächeneindrücken verbirgt sich eine komplexe psychische Herausforderung, die weit über die falschen Annahmen und Stereotypen hinausgeht.
Meine Begegnung mit der Arbeit von Frau Veronika Schröter hat mir nicht nur die Augen für die Tiefe und Nuancen dieses Themas geöffnet, sondern auch persönliche Resonanzen in mir geweckt. Auch ich kenne das Gefühl, bestimmte Dinge nicht loslassen zu können oder das Gefühl, einer "milden Form der Wertbeimessungsstörung" zu unterliegen. Aber woher kommt das und was kann man dagegen tun? 

Die Wahrheit hinter den Missverständnissen

Eine weitverbreitete Fehleinschätzung über Menschen mit dem Messie-Syndrom ist, dass sie als asozial oder faul betrachtet werden, insbesondere aus den unteren sozialen Schichten. Dieses Bild wird gerne von den Medien gezeichnet, um Sensationslust zu befriedigen. Allerdings ist die Realität weitaus komplexer. Statistiken und Studien zeigen, dass Menschen mit dem Messie-Syndrom vermehrt in der mittleren bis oberen Bildungsschicht anzutreffen sind.

Mögliche Ursachen des Messie-Syndrom

Das Messie-Syndrom hat normalerweise seine Ursache in einer gestörten Bewertung von Dingen. Das bedeutet, dass Menschen, die davon betroffen sind, Schwierigkeiten haben, wichtige Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie ihre persönliche Umgebung organisieren sollen. Sie können nicht klar entscheiden, was für sie wichtig oder unwichtig, nützlich oder unnütz, schön oder nicht schön ist. Deshalb fühlen sie sich gezwungen, alles aufzubewahren, zu sammeln und zu horten.

Die Unfähigkeit, die eigene Umgebung selbstbestimmt zu gestalten, ist ein grundlegendes Merkmal des Messie-Syndroms, das oft in der frühen Kindheit seine Wurzeln hat. Oft wurde die Persönlichkeit des Kindes von seiner Umwelt nicht erkannt oder absichtlich ignoriert, was zu Problemen in der frühen Entwicklung führen kann. Dies kann durch Erfahrungen wie strenge Erziehung, unterdrückte kindliche Impulse oder Konflikte mit Bezugspersonen verursacht werden.

Das Messie-Syndrom kann auch durch belastende Lebensereignisse wie Krankheit, Todesfälle, Trennungen, Scheidungen, Arbeitslosigkeit oder das Ausscheiden aus dem Berufsleben ausgelöst werden.

Diese Erfahrungen, sowohl aus der frühen Kindheit als auch aktueller Natur, führen zu einem Mangel an Selbstvertrauen, einem Gefühl der Leere, einem Mangel an Struktur und einem reduzierten Körperbewusstsein, das bis zur Selbstvernachlässigung führen kann. Dies wiederum führt zu einem allmählichen Verlust des Selbstwertgefühls und der eigenen Würde.

Menschen mit dem Messie-Syndrom zeigen eine Vielzahl von psycho-emotionalen Problemen. Sie haben oft Schwierigkeiten bei Entscheidungen, erleben unerklärliche Ängste, fühlen sich sehr gestresst und angespannt, wenn sich vertraute Situationen ändern, können keine klaren Prioritäten setzen, verlieren sich in Details und fühlen sich innerlich zerrissen. Ein Leben in ständigem Chaos erzeugt Ängste, erhöht den Stress und verstärkt das Gefühl von Unfähigkeit. In vielen Fällen führt dies zu körperlichen Reaktionen, die nicht ausreichend medizinisch behandelt werden können.

In ihren sozialen Beziehungen haben Menschen mit dem Messie-Syndrom oft mit den Auswirkungen ihrer Lebenssituation zu kämpfen. Sie meiden Einladungen, brechen Kontakte ab und erlauben ihren Kindern oft nicht, Freunde mit nach Hause zu bringen. Dies führt zu einem sozial isolierten und von Scham geprägten Dasein für die Betroffenen.

Erkenntnisse aus wegweisenden Studien

Eine der bahnbrechenden Studien wurde von 2009 bis 2012 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durchgeführt. Ihr Hauptziel war die Untersuchung, ob das Messie-Syndrom als eigenständige Erkrankung betrachtet werden kann und in die ICD aufgenommen werden sollte. Experten wie Frau Veronika Schröter, Messietherapeutin, leisteten einen bedeutenden Beitrag zu dieser Studie. Sie spielte eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung des Studiendesigns und der Kontaktherstellung zu Betroffenen, die ein starkes Interesse an der Teilnahme zeigten.

Die Integration des Pathologischen Hortens in die ICD-11 markiert einen entscheidenden Fortschritt in der Anerkennung dieses Syndroms als eigenständige Erkrankung.

Die entscheidenden Ergebnisse der Studie

Die Studie zeigte, dass das Messie-Syndrom nicht ausschliesslich als Symptom anderer psychischer Störungen betrachtet werden kann. Etwa 24% der Teilnehmer wiesen nur typische Symptome des Messie-Syndroms auf, während bei 76% mindestens eine weitere psychische Erkrankung diagnostiziert wurde. Von diesen Fällen definierte die Studie etwa die Hälfte als Folgeerkrankungen des Messie-Syndroms.

Diese Ergebnisse widerlegen die ursprüngliche Annahme, dass das Messie-Syndrom lediglich als Symptom anderer psychischer Erkrankungen zu verstehen ist. Sie legen nahe, dass das Messie-Syndrom unabhängig von anderen psychischen Störungen auftreten kann.

Neue Einordnung und Behandlungsansätze

Ein wichtiger Schritt besteht darin, das Messie-Syndrom nicht den Zwangserkrankungen zuzuordnen, sondern eher den affektiven Störungen. Der Studienleiter schlägt vor, den Begriff "Messie-Syndrom" zu erweitern und stattdessen einen umfassenderen Ausdruck wie "Desorganisationssyndrom" zu verwenden, um der spezifischen Symptomatik besser gerecht zu werden.

Die Behandlung des Messie-Syndroms erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die nicht nur die äußere Ordnung, sondern auch die zugrunde liegenden psycho-emotionalen Ursachen berücksichtigt. Einzelberatungen, Therapiegruppen und Wochenendseminare können Betroffenen dabei helfen, mit ihrer Erkrankung umzugehen und Veränderungen anzugehen.

Der Weg zur Wiedererlangung der Würde

Die Messie-Syndrom-Therapie zielt darauf ab, den Betroffenen eine liebevolle Annäherung zu ihrer eigenen Geschichte und ihrem innersten Selbst zu ermöglichen. Durch diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und den Hintergründen für das chaotische Leben werden alte Verhaltensmuster sichtbar. Dies geschieht oft mit Hilfe verschiedener therapeutischer Methoden, wobei die Gestalttherapie besonders wirkungsvoll sein kann.

Die Akzeptanz der eigenen Gefühle und die Schaffung eines geschützten Raumes sind wesentliche Bestandteile der Therapie. Ziel ist es, dass die Betroffenen wieder lernen, sich selbst anzunehmen und ihre eigene Würde zurückzugewinnen.

Die Messie-Syndrom-Therapie ist ein individueller Prozess, der jedem Betroffenen hilft, seine eigenen Prioritäten zu definieren und Handlungsalternativen zu entwickeln. Durch diesen Ansatz können Betroffene schliesslich eine neue Perspektive auf ihr Leben gewinnen und in Würde und Selbstachtung weitergehen.

Anlaufstellen und Organisationen

  1. Schweizerische Fachgesellschaft für Zwangsstörungen (FGZ): Die FGZ bietet Informationen und Beratung für Menschen mit Zwangsstörungen, zu denen auch das Messie-Syndrom gehört.
  2. Selbsthilfegruppen: Es gibt lokale Selbsthilfegruppen, die sich auf das Messie-Syndrom konzentrieren könnten.
  3. Messie Kompetenz Zentrum

Mit mir über dieses Thema sprechen?

Dieser Blogbeitrag hat dich angesprochen? Melde dich bei mir, wenn du Fragen dazu hast.

engagiert
ehrlich
für dich da